Als Grete Möller, derzeit älteste Bewohnerin des Hertener Theodor-Fliedner-Hauses, geboren wurde, war das Gelände in der Annastraße noch nicht bebaut. Möller ist in Ostpreußen geboren, hieß damals Kopka, hatte sechs Geschwister, von denen heute noch zwei leben. Hinzugekommen sind zwei Kinder, drei Enkel und drei Urenkel.
Die 100jährige erinnert sich, wie sie die Schule mit 14 verlassen und ihrer erkrankten Mutter im Haushalt helfen musste. Für eine Lehre bliebt keine Zeit. „Man war ja auch ein gehorsames Kind“, sagt sie heute. 1943 wurde die 20jährige zum Arbeitsdienst in der Küche eines benachbarten Fliegerhorst eingezogen.
Der Krieg rückte näher, eine Flucht mit dem Pferdewagen misslang. Schließlich ergatterten die Kopkas Schifftickets für die „Wilhelm Gustloff“, die sie in Sicherheit bringen sollten – aber kamen doch nicht mehr an Bord, weil das Schiff überfüllt war. Ihr Glück. Auf einem anderen Schiff hörten sie die Nachricht vom Untergang der Gustloff.
Später arbeitete Grete bei einem Bauern in Wildeshausen, bis der Hof bombardiert wurde und niederbrannte. Sie überlebte nur knapp im Luftschutzkeller: „Wir dachten, wir verbrennen.“
Im Herbst 1945 kam sie schließlich nach Herten – zu Fuß. Knapp 200 Kilometer in acht Tagen, von Wildeshausen bis ins Ruhrgebiet. In einem Hertener Café fand sie ein Zimmer mit Anstellung. Dafür musste sie täglich von 7 bis 23 Uhr arbeiten, nur der Dienstag Nachmittag war frei. „Heute würde ich mir das nicht mehr gefallen lassen“. Heute kann sie sich mal bedienen lassen – im Café Fliedner oder in den Wohnbereichen.
Zum Geburtstag spendierte die 100jährige Sekt und Torte. Bis vor kurzem hat sie viel gelesen, nun wollen die Augen nicht mehr und Grete Möller freut sich, wenn jemand den Bewohner*innen des Theodor-Fliedner-Hauses vorliest. Erzählen kann sie noch gut – lebendig, ausführlich und detailgetreu. Der Stoff geht ihr nicht aus. Ihr größter Wunsch: „Noch einmal laufen können. Ohne Rollstuhl“.