von Ulrike Geburek, Recklinghäuser Zeitung
Wenn Joshua (17) seinen Schulkameraden erzählt, dass er allein lebt, geraten die meisten ins Schwärmen. „Sie finden das cool, denken ans Abhängen und Partymachen, vergessen aber, dass ich mir das so nicht ausgesucht habe“, sagt der Jugendliche. In seiner Familie konnte er nicht länger bleiben. „Dort gab es nur noch Streit.“ Darum machten ihn Fachleute des Diakonischen Werks im Kirchenkreis fit für eigene vier Wände. In loser Folge stellen wir die einzelnen Angebote dieser „Flexiblen Hilfen“ vor – heute ist es das „Betreute Wohnen“.
Wenn das Zusammenleben im Heim oder in der Gruppe, in der Pflegefamilie oder im Elternhaus nicht mehr funktioniert, tritt Plan B in Kraft: Die „Kümmerer“ der Diakonie stehen den Jugendlichen bei, damit die allein zurechtkommen. „Denn es ist nicht einfach, alles selbst zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen“, berichtet Martin Heermann, Leiter der „Flexiblen Hilfen“ im Paulsörter 10 und nickt Emrah zu. Der hat es nämlich ebenfalls geschafft. Wenn auch mit anfänglichen Problemen. „Das mit dem Aufstehen und zur Schule gehen hat nicht geklappt“, verrät der 17-Jährige und grinst. Doch nach nun fünf Monaten ist er glücklich in seinem eigenen Reich, ebenso wie Adrian (17): „Die Wohnung bedeutet Freiheit für mich.“ Die ist allerdings auch mit Pflichten verbunden. Und damit sind wir wieder bei den „Kümmerern“ der Diakonie angelangt.
Die Männer und Frauen betreuen momentan 14 Jugendliche und junge Erwachsene. Die Jüngsten von ihnen sind in der Regel 16 Jahre alt. Sechs weitere stehen kurz vor dem Umzug. So wie Anna-Lena, die heute den Schritt in die Selbstständigkeit wagt. Gemeinsam mit ihrer Betreuerin hat sie die Möbel ausgesucht und es sich schön gemacht. „Ich freue mich. Trotzdem habe ich etwas Angst, denn ich kann nicht gut allein sein“, erzählt die 17-Jährige und Bedauern klingt in ihrer Stimme.
Vom Einkauf bis zur Wäsche, vom Kochen bis zum Putzen: Die Fachleute wissen, dass es den Jugendlichen schwerfällt, das Wohnen zu lernen. Und nicht nur das: „Sie müssen mit ihrem Geld wirtschaften“, erklärt Carmen Nachlik, „aber wir lassen natürlich keinen verhungern. Zum Schluss gibt es halt nur noch Toast und Marmelade.“
Bei der Auswahl der Jugendlichen beweisen die Helfer meistens ein gutes Händchen. „Bei fast allen läuft es super“, sagt Martin Heermann stolz. Allerdings kann er sich auch an wilde Feten mit zerstörten Möbeln, Wasserschäden und eingetretenen Türen erinnern. „Doch das ist lange vorbei, denn wir mieten grundsätzlich nur noch Wohnungen an, die die Jugendlichen später übernehmen. Das Inventar gehört dann ihnen. Aus diesem Grund gehen sie mit den Dingen viel pfleglicher um. Das ist ein gutes Geschäft für beide Seiten“, so Heermann.
Mindestens einmal pro Woche schauen die Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter bei ihren Schützlingen vorbei. „Die Arbeit macht mir viel Freude, vor allem wenn ich sehe, wo ich die Jugendlichen abholen kann, und wenn ich ihre Stärken entdecke“, betont Betreuer Dennis Homann. Er ist ebenfalls ein Ansprechpartner in jeder (Not-)Situation. Und die gibt es immer mal wieder. „Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass die meisten ihr Päckchen tragen“, erzählt Heermann. Dann gilt es, Kontakt zum Gericht, zur Polizei und zur Herkunftsfamilie aufzunehmen.
Aber sie verbringen auch die Freizeit zusammen, gehen zum Sport, kochen oder machen Ausflüge. „Das alles ist eine große Unterstützung für mich“, meint Joshua. Die anderen stimmen ihm zu. Und genau das tröstet manche darüber hinweg, dass morgens zum Beispiel niemand für sie da ist.
„Flexible Hilfen“
Die Zentrale der „Flexiblen Hilfen“ der Diakonie im Kirchenkreis befindet sich im Paulsörter 10. Weitere Standorte sind in Herten und Oer-Erkenschwick. „Flexible Hilfen“: 20 Fachleute betreuen rund 100 Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen. Das Angebot besteht aus verschiedenen Bausteinen: u.a. die „Tagesgruppen“, das „Betreute Wohnen“, die „Jugendhilfe im Strafverfahren“, die „Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung“, Präventionsarbeit mit „Coolness-Training“ oder den Kursen „Bärenstark für Kids“. Momentan hilft das Team 14 Jugendlichen und jungen Erwachsenen im „Betreuten Wohnen“. Sechs weitere ziehen nun in eine von der Diakonie im Kreis angemietete Wohnung. Das Angebot gibt es seit 2001. Mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Alter: 16 bis 25 Jahre) haben auf diesem Weg schon den Schritt in die Selbstständigkeit geschafft.
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